a/n: Heute geht es hier ungewöhnlich ernst zu. Wer das nicht lesen möchte, für den habe ich diese Sequenz in ein extra Kapitel gepackt. Ihr könnt also entscheiden, ob ihr Lust habt, das zu lesen. In den nächsten Tagen wird es eine neue Zeichnung geben, um die Stimmung wieder zu heben 🙂
Josephine schluckte schwer. Das hier war vielleicht einer der schwersten Gänge ihres Lebens, auch wenn sie nur einen kleinen Fußweg hinter sich zu bringen hatte. Gerade hatte der Kutscher sie kurz vor dem kleinen, angelegten Park abgesetzt. Als sie sich dem Treffpunkt näherte, entdeckte sie die ihr wohlbekannte Silhouette.
Sie wurde etwas langsamer, wusste aber, dass sie damit das Unabwendbare nur unnötig aufschob. Schließlich war sie so nahe, dass sie seinen besorgten Gesichtsausdruck bereits erkannte. Er ahnte also etwas. Gemeinerweise erleichterte sie das glatt.
“Hey”, murmelte sie behutsam und trat an sie heran.
“Josephine. Es tut gut dich zu sehen”, erwiderte Everett. “Ich habe gehört, deinem Vater geht es besser. Was für eine Erleichterung.”
“Oh, aber wirklich, was?”, seufzte Josephine. Auch wenn sie es schon als ein wenig heuchlerisch empfand, dass er nun plötzlich Anteil an der Gesundung ihres Vaters nahm. Es hatte ihn nie sehr interessiert.
“Gehen wir ein Stück”, schlug Everett vor und sie nickte, betrat mit ihm den Park. Auch wenn sie gerade nicht das Bedürfnis nach seiner Nähe hatte, fühlte es sich doch komisch an, neben ihm her zu gehen, ohne ihn zu berühren. Sie beide waren stets sehr körperlich miteinander gewesen. Eine Eigenschaft, die sie an ihm zu schätzen gewusst hatte. Stattdessen verschränkte sie die Finger ineinander und starrte beim Gehen auf ihre Füße.
“Also, Everett, ich bin froh, dass du gekommen bist”, murmelte sie. “Was genau… weißt du denn?”
“Das ist eine merkwürdige Frage”, stellte er fest und sah sie an. “Willst du mit so wenig wie möglich rausrücken oder dir nicht die Mühe geben, mir die ganze Geschichte zu erzählen?”
“Nein… so ist das nicht!”, versuchte Josephine hastig klarzustellen. Sie sah zu ihm auf. Verdammt, seine sonst vor Freude und Schalk nur so sprühenden Augen trugen gerade diese Melancholie in sich, die sie gar nicht von ihm kannte. Wie sollte sie das alles nur anstellen? Sie wollte ihm nicht weh tun.
“Also gut… ich weiß, dass Lottie sich aus dem Staub gemacht hat. Ich weiß, dass dein Vater genesen ist, weil ein französischer Arzt ihm geholfen hat. Und ich weiß, dass du nach London abgereist bist, ohne ein Wort des Abschiedes. Zuerst dachte ich, du hättest die Dinge nur wegen deines Vaters überstürzt, doch… jetzt weiß ich, dass dein ehemaliger Lehrer mit dir zurückgekehrt ist. Angeblich bist du damals Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen und er hat dir das Herz gebrochen.”
“Du weißt… aber wirklich viel”, murmelte Josephine glatt ein wenig geschockt. Sie hätte nicht gedacht, dass so ein großer Teil ihres Privatlebens nach außen getragen worden war.
“Also stimmt das alles?”, fragte Everett geradeheraus.
“Ja…”, knirschte Josephine. “Aber du musst mir glauben, dass ich ihn in London traf, hatte ganz andere Gründe. Er wollte meinen Vater noch einmal sehen, weißt du. Sie standen sich nahe, als er noch als Lehrer für uns arbeitete und…”
“Also seid ihr zufällig aufeinander getroffen?”, fragte Everett skeptisch.
“Nein, nein, das nicht. Ich habe ihm geschrieben.”
“Damit er dir beisteht”, stellte Everett fest. Er war clever, das musste man ihm lassen.
“Das hätte ich niemals vor ihm zugegeben aber… womöglich war das der Grund”, erklärte Josephine schuldbewusst.
“Und du kamst nicht auf die Idee, dass ich dich hätte begleiten können?”, Rhett fragte das mit ruhiger Stimme, nicht wütend, eher… verbittert. Sie fühlte sich, als würde jemand ihren Magen zuschnüren. Irgendwie war ihr vor lauter Kummer um ihren Vater und Ärger um John gar nicht richtig in den Kopf gekommen, was sie bei ihrem Noch-Verlobten mit ihrem Verhalten auslösen könnte. Was war sie nur für eine egoistische Kuh! Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, schluckte sie aber herunter. Er sollte sie jetzt nicht auch noch trösten müssen.
“Ich dachte schon daran”, murmelte sie. “Aber mein Gedanke dazu war immer … es ist dir nicht so wichtig, weißt du?” Die letzten Worte sprach sie vorsichtig aus. Das hatte sie zu dem Zeitpunkt zwar wirklich geglaubt, aber so, wie er sie jetzt zur Rede stellte, brauchte sie nicht seine Antwort, um zu wissen, dass sie einem Irrtum erlegen gewesen war.
Everett blieb stehen. Er wirkte so unglaublich geknickt. “Es stimmt. Ich bin womöglich nicht der Beste im Trost spenden. Der Situation gegenüber hab ich mich ziemlich hilflos gefühlt. Ich dachte immer… wenn ich dich ablenke und auf andere Gedanken bringe, tue ich mein Bestes.”
Josephine schluckte und sah zu ihm hinauf. Das brach ihr gerade wirklich das Herz.
“Du hast dein Bestes getan, Rhett!”, versicherte sie und griff nach seiner Hand. Doch er machte einen Schritt von ihr zurück.
“Wieso ist er noch bei dir… dieser Lehrer?”, fragte er mit ruhiger Stimme, doch eine gewisse Resignation schwang darin mit.
Nun kam sie nicht mehr gegen die Tränen an. Auch wenn sie diese Beziehung nicht aufrecht erhalten wollte, tat es doch erschreckend weh, dass er jetzt so unnahbar war. Und dass das der neue Ist-Zustand zwischen ihnen bleiben würde.
“Ich… ich liebe ihn und… ich weiß, ich bin ein ganz furchtbarer Mensch, aber… ich muss wohl unsere Verlobung auflösen, Everett.” Auch wenn ihr absolut klar war, was sie wirklich wollte, liefen bei diesen Worten dennoch die Tränen nur so über ihr Gesicht. Verdammt. Sie hatte doch niemals mit seinen Gefühlen spielen wollen.
“Ich habe wirklich keine Ahnung, warum du so viele Tränen um mich vergießt, wenn doch offensichtlich ist, dass du immer nur ihn geliebt hast”, murmelte Everett. Seine Stimme klang belegt, ganz so, als müsste er nun selbst mit sich kämpfen.
Josephine sah zu ihm auf. Seine Augen schwammen tatsächlich, doch das ließ ihn kein Stück schwach wirken, sondern ganz das Gegenteil war der Fall. Es war als würde sie einem tragischen Helden gegenüberstehen, der seine Niederlage tapfer und erhobenen Hauptes auf sich nahm.
Sie schüttelte den Kopf, auch wenn sie wusste, dass er Recht hatte. “Die Zeit mit dir war absolut großartig. Ein Lichtblick gegen grässliche drei Jahre zuvor und… unter anderen Umständen, Everett… glaub mir…” Sie versuchte wieder nach ihm zu greifen, doch erneut wich er von ihr zurück.
“Du hättest ehrlich sein müssen”, erklärte er halblaut. “Dann hätte ich mich wenigstens nicht… so sehr auf dich eingelassen.”
“Ich war doch nicht mal ehrlich zu mir selbst, Rhett! Ich dachte, ich sehe John nie wieder! Ich… verdammt… es tut mir so leid.” Sie verkrampfte ihre Hände zu Fäusten und starrte durch den Tränenschleier auf seine Brust. Sie konnte ihm unmöglich noch einmal in die Augen sehen.
“Ja…. mir auch”, hörte sie Rhett murmeln. “Lass es uns hier und jetzt ein für alle Mal beenden. Lebewohl, Josephine.” Mit diesen Worten ließ er sie stehen und wandte sich ab, um durch den Park davon zu gehen.
Obwohl sie eigentlich so glücklich war… mit John… mit ihrem Neustart… half das nicht, dass sie sich nicht gerade unglaublich schäbig fühlte. Schluchzend stand sie noch einen Moment dort, wo er sie hatte stehen lassen, ehe sie sich fangen konnte und zu ihrer Kutsche zurückkehrte.
Auf der Heimfahrt lehnte sie ihr Gesicht gegen das kühle Glas und schloss die Augen. Es fühlte sich verdammt beschissen an, der Bösewicht und Schuld am Ende der Beziehung zu sein. Sie konnte nichts tun, als sich Zeit zu geben, bis dieses nagende, schlechte Gewissen, das sie so quälte, verblassen würde.
Everett kann einem fast leid tun. Aber ich hätte erwartet, dass er noch irgendwie die Sache mit der Spankingleidenschaft von John und Josephine heraus bekommt …
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Also mir tut Everett tatsächlich leid. Auch wenn es klar ist, dass Josephine und John das glücklichere Paar sind – und das für uns Leser interessantere 😉.
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Ja, absolut, mir auch! Ich wollte (diesmal) weg von dem Klischee, dass der Expartner schlecht für die Person sein muss. Hätte es John nicht gegeben, hätten Josephine und er vielleicht sogar sehr glücklich werden können.
Und ich wollte auch, dass das nicht einfach so vom Tisch ist sondern so eine Beziehung eben auch durchaus Spuren hinterlässt.
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Ja, das ist auch ein bisschen die Absicht dahinter. Er hat ja nichts falsch gemacht.
Hm, dafür würde ich jetzt keinen Anlass sehen, weil seine Geschichte jetzt damit abgeschlossen sein wird. Es gibt keinen Grund, da nochmal was Neues aufzumachen und das wäre eine solche Offenbarung in meinen Augen.
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Wie schön den Gefühlen ein ganzes Zwischenkapitel zu widmen. Mir gefällt wie ehrlich und wertschätzend die beiden miteinander umgehen. Und das man gerade Menschen, die einem nahe sind unbeabsichtigt verletzt ist ein Motiv was vermutlich die meisten irgendwie auch schon einmal erlebt haben. Mal sehen wie Phine ihr schlechtes Gewissen los wird 😉
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Hey, das höre ich gerne! Immerhin ist die Geschichte ja inzwischen weitaus mehr als Spanking. Da kann ich mich das auch trauen 🙃
Ja, ich denke auch, dass jeder dieses Gefühl auf die eine oder andere Art schon einmal erlebt hat.
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